Neben verschachtelten Bandwurmsätzen und umständlichen Floskeln hat das Behördendeutsch seinen ganz eigenen Wortschatz entwickelt. Dieser zeichnet sich durch sachliche Differenzierung, mitunter durch eigenwillige Kreativität, vor allem aber durch eine blutleere Abstraktheit aus. Manchmal wirkt das gestelzt, manchmal komisch. Für so manchen Leser ist es schlicht unverständlich.
Wortschatz entrümpeln heißt: einfach die ganz normalen Wörter verwenden!
Ich habe hier ein paar Beispiele zusammengestellt, die das gut illustrieren.
Beispiel 1: fehlgeleitet bei der Bahn
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe noch nie bewusst einen Fahrausweis am Fahrausweisautomaten gekauft und in einer Wartehalle gewartet. Ich kaufe immer eine Fahrkarte oder vielleicht auch einen Fahrschein am entsprechenden Automaten und warte im Bahnhofsgebäude. Der Begriff Wartehalle ist an dem Bahnhof, an dem ich ihn gefunden habe, ohnehin in jeder Hinsicht überdimensioniert: Es ist ein sehr kleiner Raum. (Noch dazu ist er sehr schmutzig, wie schon auf dem Bild zu erkennen ist.)
Beispiel 2: von Amts wegen unverständlich
Ein afghanischer Asylbewerber in unserer Gemeinde, der noch in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, spricht inzwischen ganz gut Deutsch und hat eine Vollzeitstelle gefunden. Kurz nachdem sein erstes Gehalt auf seinem Konto eingegangen war, bekam er Post vom Landratsamt. Betreff:
„Unterkunftsgebührenbescheid“
Kein Wunder, dass er etwas ratlos war, als er mir den Brief zeigte.
In der bayerischen Verordnung zur Durchführung des Asyl- und Asylbewerberleistungsgesetzes steht, dass die Bewohner einer solchen Unterkunft einer Gebührenpflicht unterliegen. Wer Geld verdient, muss also nach dem Buchstaben des Gesetzes tatsächlich eine „Unterkunftsgebühr“ entrichten. Übrigens sind das in diesem Fall monatlich 278 Euro plus 28 Euro Strom für einen Schlafplatz in einem 12-Quadratmeter-2-Bett-Zimmer mit Gemeinschaftsbad und -küche, und das nicht etwa in der Großstadt, sondern auf dem Land.
Aber: Auch jeder Deutsche, dem ich das Wort „Unterkunftsgebühr“ präsentierte, fragte erst einmal nach, was das denn sein solle. Es mag ja sein, dass „Miete“ juristisch nicht der ganz korrekte Begriff ist (warum eigentlich nicht?). Dafür würde ihn jeder verstehen. Auch der betreffende Afghane.
Beispiel 3: überfürsorglicher Lieferant
Eine Freundin, die im Einkauf eines Lebensmittelherstellers arbeitet, bekam von einem Lieferanten eine E-Mail, in der die Einführung einer neuen Bestellsoftware angekündigt wurde. Sie endete mit der Zusicherung:
Über ggf. Abweichungen zu bisherigen Prozessen halten wir Sie individuell und proaktiv informiert.
Meine Freundin schickte mir diesen hübschen Satz mit dem Kommentar: „Schau mal, was einer meiner Lieferanten mit mir machen möchte!“
Ja, was eigentlich?
Das Wort „Prozesse“ wird nach meinem Dafürhalten allgemein überstrapaziert, aber na gut. Falls es aber Abweichungen zu bisherigen Abläufen gibt, sind das keine „ggf.“ (gegebenenfallsen? -falligen?), sondern höchstens „evtl.“ (eventuelle). Dass man nur dann über eine Änderung informiert, wenn es überhaupt eine gibt und wenn sie den Kunden betrifft (war das mit „individuell“ gemeint?), versteht sich von selbst. Insofern ist dieser Hinweis überflüssig. Man kann ansonsten durchaus jemanden auf dem Laufenden halten, indem man ihn informiert. Die Formulierung „informiert halten“ klingt aber merkwürdig. Der Satz enthält also vor allem Selbstverständlichkeiten, die aber bombastisch und auch noch schwer verständlich verpackt sind.
Die Lösung: Wortschatz entrümpeln, unnötige Fremdwörter und gestelzte Formulierungen weglassen. Einfach schreiben. Etwa so:
Falls sich für Sie Änderungen im Bestellablauf ergeben, werden wir Sie frühzeitig informieren.
Weitere Überlegungen und Tipps zum Thema Behördensprache finden Sie auf unserer Übersichtsseite Best of Behördendeutsch.
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