Vom Geben und Nehmen im Imperativ: nehme oder nimm?

In der Hansestadt Hamburg allerlei Exotisches zu entdecken, ist keine Besonderheit. Schließlich legen hier die großen Kreuzfahrtschiffe an, und im Containerhafen treffen tagtäglich Waren aus aller Herren Länder ein. Auf diese exotische Verbform, die mir im feinen Stadtteil Eppendorf begegnete, war ich allerdings nicht vorbereitet:

Werbeschild "Nehme Dir eine Auszeit"

„Nehme Dir eine Auszeit“ – da stimmt doch etwas nicht.

Wie lautet die Befehlsform von nehmen? Nehme oder nimm?

Ich habe in der Duden-Grammatik nachgeschlagen und folgende Erläuterung gefunden:

Das Verb „nehmen“ vollzieht als starkes, unregelmäßiges Verb einen e-/i-Wechsel im Präsens (ich nehme, du nimmst, er nimmt). Entsprechend wandelt sich auch bei der Bildung des Imperativs das e zum i.

Gleiches Prinzip: „Gib“ statt „gebe“

Zum Nehmen gehört bekanntlich das Geben. „Nehme oder nimm?“ ist also nicht die einzige Frage dieser Art. Es existiert nämlich noch eine ganze Reihe von Verben, bei denen ein solcher e-/i-Wechsel ebenfalls üblich ist. Erstes Beispiel dafür ist das Gegenteil von „nehmen“, nämlich das Zeitwort „geben“. Hier würde wohl kein Mensch auf die Idee kommen, in der Befehlsform „gebe“ zu sagen – statt „gib“. Selbst Kinder machen das beim Streiten im Sandkasten schon richtig, wenn sie sagen: „Gib mir sofort mein Schäufelchen zurück!“ Die Antwort könnte lauten: „Dann nimm’s dir doch!“

„Werfen“ und „sprechen“: Auch hier bewährt sich der e-/i-Wechsel

Angenommen, die beiden Kinder streiten sich nicht um ein Schäufelchen, sondern um einen Ball. Dann würde das eine Kind womöglich zum anderen sagen: „Wirf mir den Ball sofort zurück, sonst setzt’s was!“ Wohlgemerkt „wirf“ und nicht „werfe“. Die Replik ließe vermutlich nicht lange auf sich warten und könnte lauten: „Sprich gefälligst nicht in diesem Ton mit mir!“ Auch hier lautet die korrekte Form „sprich“ und nicht „spreche“. Zum Glück muss man sich gar nicht streiten, um den e-/i-Wechsel richtig zu machen.

„Lies“ statt „lese“

Zurück zur oben gezeigten Tafel aus Hamburg. Der Person, die sie beschriftet hat, möchte ich am liebsten sagen: „Lies diesen Beitrag, dann passiert dir ein solcher grammatischer Schnitzer nicht mehr!“ (Und ich muss kaum mehr darauf hinweisen: Auch das Verb „lesen“ vollzieht im Imperativ den Wechsel vom e zum i.)

Jetzt, da ich diese sprachliche Irritation beendet habe, bin ich auch gerne bereit, mir die versprochene Auszeit zu nehmen …


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Kommentare

13 Antworten zu „Vom Geben und Nehmen im Imperativ: nehme oder nimm?“

  1. Anselm

    Aber das „man nehme“, in Rezepten z.b., geht natürlich allemal…

    1. Judith

      Ja, das geht, aber das ist – grammatisch gesehen – kein Imperativ, sondern der Konjunktiv Präsens in der dritten Person. Falls Sie in der Schule Latein hatten: Dieser so genannte Jussiv, also die Konjunktivform in der Funktion einer Aufforderung, wird in der gehobenen Sprache sehr gerne gebraucht. Und bei der Bildung des Konjunktivs Präsens findet auch kein e-/i-Wechsel statt. Jetzt wissen Sie auch, was es mit dem Beginn eines schwäbischen Kochrezeptes auf sich hat: „Man leihe sich drei Eier …“ Ich hoffe, diese Erläuterung trägt zur Klärung bei und nicht etwa zur weiteren Verwirrung …

  2. Heike

    Ist halt nicht Deutsch sondern Hamburgisch 😉

    1. Judith

      Das lasse ich gelten – bin ja selbst leidenschaftliche Dialektsprecherin, wenn auch aus dem süddeutschen Raum und nicht aus Norddeutschland. 🙂

  3. Bernhard Michael Fux

    LOL… nun, hier ist das ja auch kein Imperativ 😉

    1. Erik

      Soso? Was denn dann?

      Ich bemerke in letzter Zeit immer häufiger die falsche Verwendung des Imperativ in den Medien und war deswegen gerade mal auf der Suche nach der Ursache dafür…
      Dein aktueller Kommentar zu einem alten Artikel bestätigt meine Feststellung.

      Was mich wundert ist, dass auf den korrekt verwendeten Imperativ „Lass“ im zweiten Satz gar nicht eigegangen wird. Wenn es tatsächlich regionale Unterschiede gäbe, müsste es konsequenterweise „Lasse“ heißen.

      1. Barbara

        „Lass“ ist tatsächlich die richtige Imperativ-Form; nach meinem Eindruck wird sie auch überwiegend korrekt verwendet. Der Text bezieht sich ja auf Verben mit e-/i-Wechsel.

        1. Barbara

          Hallo Julia,
          Sie haben völlig recht: Manchmal ist die Substantivierung tatsächlich die sprachlich elegantere Variante. Dann spricht nichts dagegen, sie zu verwenden. Der kritikwürdige Nominalstil entsteht ja erst, wenn die Substantivierungen überhandnehmen und der Text dadurch sperrig wird.

    2. Saltstick

      Nun, ich vermute mal im Norden nennt man es den Emperativ… ? Hatte vor Jahren mal davon gehört.
      Übrigens: seit einiger Zeit findet dieser auch in den REWE Bäckereien Anwendung: „Bitte entnehme die Ware mit der Zange“.

      1. Judith

        Der „Emperativ“ – das ist eine sehr schöne Wortschöpfung! Und es stimmt: So selten ist dieser sprachliche Schnitzer gar nicht. Danke für Ihren Beitrag!

  4. Wolf Breiting-Reinken

    Die Vereinfachung soll den Ausländern das Deutsch einfacher machen

    1. Hartmut

      Bei den Imperativen kommen schon viele Muttersprachler nicht mit. Aber das ist kein Grund, die richtige Grammaik aufzugeben.

      1. Judith

        Hallo, Hartmut,
        dieser Meinung bin ich auch. Eine Sprache zu vereinfachen, nur damit sie besser erlernbar wird, das wäre auch aus meiner Sicht nicht zielführend und würde ihr überdies viel von ihrem Charme und ihrer Ausdruckskraft nehmen. Danke für Ihre Rückmeldung!
        Herzlichst
        Judith Engst

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