Hochwohlgeborener Herr! – Mahnbrief von anno dazumal

Wie es der Zufall so will, fiel das Briefprofi-Blog-Los des alljährlichen Texttreff-Blogwichtelns auf mich, Gesa Füßle, Lektorin und Übersetzerin, am liebsten aber Entzifferin. Seit Jahren beschäftige ich mich auf meinem Blog mit alten Briefen, beuge mich über unleserliche Dokumente und erfreue mich an den blumigen Formulierungen. Da dieses Blog sich der Geschäftspost widmet, habe ich ein passendes Schmankerl herausgesucht: die Formulierung von Mahnbriefen.

Im Hamburger Südosten liegen die Vier- und Marschlande. In diesem Gebiet wird seit jeher Landwirtschaft betrieben, insbesondere werden bis heute Blumen angebaut. Auf dem Dachboden einer Gärtnerei in Curslack – einem Teil der Vierlande – fand man ein Notizbuch. In diesem hatte ein Handelsgärtner vor Jahr und Tag Musterbriefe festgehalten. Am 14. Januar 1860 schrieb er zwei Muster für Mahnungen nieder.

Dabei machte es einen wesentlichen Unterschied, ob der Schuldner ranghöher oder -niedriger war als der Mahnende. Entscheiden Sie selbst, was Sie für angemessen halten, wenn Sie zu diesen Vorlagen greifen.

Mahnbrief von anno dazumal an einen schlechten Schuldner

Mein Herr!
Es ist mir unbegreiflich, wie es
möglich ist, daß Sie auf keinen
meiner Briefe antworten. Ich muß fast
glauben, daß es Ihnen angenehm ist,
sich mahnen und an Ihre Schuldigkeit
erinnern zu lassen, und daß es Ihnen
am Ende gar Vergnügen macht, mei-
ne Geduld aufs Höchste zu prüfen.
Empfangen Sie daher die Versicherung,
daß Sie sich gar sehr irren, wenn Sie
glauben, meine Langmuth noch länger
mißbrauchen zu können. Wenn Sie
also in vierzehn Tagen die Zahlung an
mich nicht einsenden, die Sie mir auf die
Ihnen dreimal übersandte Rechnung schul-
dig sind, so können Sie sich darauf ver-
lassen, daß ich ein Mittel wählen werde,
das Sie zur Erfüllung Ihrer Schuldigkeit
ernstlicher anhalten wird. Ihre Ent-
schuldigungen haben bei mir allen
Werth verloren, ich bitte, in der Folge
mich damit zu verschonen.
Ergebenst
N.N.

Mahnbrief an eine Person höheren Ranges

Hochwohlgeborener Herr!
Es sind nun bereits zwei Monate ver-
flossen, seit ich Ihnen eine Rechnung über
die im vorigen Jahre aus meiner Handlung
entnommenen Waaren zu übersenden mir
die Freiheit nahm. Bisher war ich gewohnt,
den Betrag sofort zu empfangen. Da er
diesmal aber bis jetzt nicht erfolgte,
so vermuthe ich, daß jene Rechnung durch
irgend ein Versehen Ihnen nicht zugekom-
men ist, und erlaube mir daher, dieselbe
hineben nochmals zu überreichen. Zu
ferneren geneigten Aufträgen mich
bestens empfehlen[d], nenne ich mich
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
N.N.


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Kommentare

2 Antworten zu „Hochwohlgeborener Herr! – Mahnbrief von anno dazumal“

  1. Wunderschön – doch nicht unleserlich.

  2. Hochverehrte Damen,
    gar sehr erfreuten mich Ihre reizenden Zeilen und die so vortrefflich gewählten Worte. Sie bereiteten mir außerordentliches Vergnügen und ich erlaube mir daher, Ihnen meinen tief empfundenen Dank kundzutun.
    Ergebenste Grüße

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